Beiträge/Archiv

An dieser Stelle wollen wir eine Auswahl an Beiträgen aus vergangenen Schreib-Wettbewerben dokumentieren. Sie können als Anregung für neue Ideen gelesen werden. Sie sollen aber auch bisherige Beiträge würdigen und einem breiten Publikum zugänglich machen.

Bei der Auswahl greifen wir auf die Buchveröffentlichung zu den Wettbewerben zurück.

Da es nur noch wenige Druckexemplare der Bücher gibt, bieten wir hier auch die Bücher als pdf-Datei zum DOWNLOAD an:

Viel Spaß beim Lesen und Stöbern!

Preisträgerin 2022
SONDERPREIS 2022: AUSGEZEICHNET VON AMNESTY INTERNATIONAL
2022
Emma Charlotte Lerch
Wilhelm-Busch-Gymnasium, JG 12
Buch S. 21 / Gedicht // Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK


2022
Ich bin nicht aus der Ukraine, Ich bin Muslima,
Eine »Illegitime«,
Sehe keine Perspektive,
Erfahre wenig Menschenliebe.

Für Ukrainer der vorübergehende Schutzstatus, Artikel und Interviews,
Auf sie aller Fokus,
Für uns der Ausschluss,
Nur wir sind der Virus.

Wenn man doch gleich aussähe,
Man uns vielleicht nicht verschmähe,
Nicht über uns hinwegsähe,
Vielleicht Akzeptanz erspähe,
Doch es fehlt geographische Nähe.

Auch ist es die kulturelle Ferne,
Uns als Externe
Sieht man nicht gerne,
Wir sind keine Augensterne,
Fehlende Wesenskerne.

Krieg in der Heimat,
Nicht mehr zu ertragen
Das Blutbad,
So dass man sich auf einen Schlag
Auf die Flucht begab.

Doch hier wird unterschieden,
Nur eine unter vielen.
Wer verdient den Frieden?
Wer wird gemieden?
Und muss sich verabschieden.

Nicht jeder bekommt Freiheit.
Ist das Gerechtigkeit?
Es ist Leid,
Das ist die nackte Wahrheit,
Das ist Gesetzmäßigkeit
Und Gängigkeit,
Der Gesellschaft Hässlichkeit.

Wenn ihr Teil davon seid,
Mein Beileid.

Preisträgerin

UNSER SCHATTEN
Animation von Emma Nienstedt, Jolina Paul und Nina Naumann
Ratsgymnasium Stadthagen, JG 11
Buch S. 49 / Film-Animation // Film: DOWNLOAD-LINK // Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK

UNSER SCHATTEN

Dies musste Finn an seinem eigenen Leib erfahren. Finn war ein einfacher Junge, er hat nie Probleme gemacht, sich immer angestrengt und wollte seine beste Seite zeigen. Nie ist er aufgefallen. Sein Schatten blau, wie man es in dieser Welt erwartete. Der Schatten seines Vaters ist auch blau. Der seiner Mutter pink. Das war normal. Niemand würde dem Beachtung schenken. Warum sollte man? Der Schatten ist doch nichts Besonderes.

Er ist überall, verfolgt uns ein Leben lang bis zum Tod. Doch Finn fragte sich immer, was diese Farbe zu bedeuten hatte. Niemand schien so zu denken wie er, also hörte er auf. Er wollte schließlich nicht komisch oder anders wirken.

Wir leben in einer Welt

ohne Akzeptanz und

Toleranz von

Vielfältigkeit. Anders

sein bedeutet, weniger

wert zu sein.

Unsere Identität

gehört nicht uns,

sondern der

Gesellschaft.

Finn wuchs auf, ging als normaler Junge in die Schule, schloss Freundschaften. Eines Abends aber bemerkte er etwas Ungewöhnliches. Sein Schatten begann sich pink zu färben. „Was ist das? Warum passiert das?“, dachte er. Ihm wurde unwohl.

Er fragte sich, ob das mit jedem passiert, ob das normal sei. Diese Nacht konnte er nicht einschlafen.

Er machte sich viele Gedanken, überlegte sich, wie er es rückgängig machen könnte.

Am nächsten Tag passierte das, wovor er Angst hatte. Andere schienen diese pinke Stelle zu bemerken. Manche guckten nur komisch, andere machten sich darüber lustig. Nicht mal sein bester Freund würde ihn angucken. Warum machten sich die anderen Kinder darüber lustig. Nur weil er anders war?

Finn war nun fest entschlossen, etwas gegen die Farbe zu tun. Er müsste alles wieder rückgängig machen, damit die anderen ihn wieder akzeptieren können. Doch die pinke Farbe breitete sich immer mehr aus und desto mehr machten sich andere über ihn lustig. Nicht nur in der Schule, auch im Bus und in dem Supermarkt. Seine Eltern schienen die Veränderung auch zu bemerken. Sie wussten weder, was sie machen sollen, noch, was diese Veränderung zu bedeuten hat. Die Zeit verging und Finn fand keine Lösung, bis im klar wurde, dass er selbst die Lösung war. Er wusste, die Farbe wieder blau werden zu lassen, wäre nicht die Lösung, sondern das Pink zu akzeptieren. Er musste lernen, dass das Problem nicht war, sich anpassen zu müssen, sondern dass ihm diese Zugehörigkeit so wichtig war. Plötzlich bemerkte er, dass ihm die Veränderung gefiel. Er war so damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was andere von ihm hielten, dass er vergessen hatte, darüber nachzudenken, was er selbst von sich hält. Er wusste, was er nun zu tun hatte. Er tat das, was er schon immer unbewusst tun wollte. Er wurde er selbst und niemand konnte ihn stoppen.

Unser Schatten. Er verfolgt uns. Wir können ihm nicht entkommen. Er ist ein Teil von uns. Er gehört zu uns. Man kann ihn nicht zu dem formen, was er nicht ist. Wir müssen ihn akzeptieren.

Der Schreib-Wettbewerb SPUREN-SCHREIBEN 2019

Buch S. 11-14 / Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK

Aus dem Vorwort / von Andreas Kraus:

In ihrem berühmten Gedicht über den „Hass“ charakterisiert die polnische Lyrikerin Wyslawa Szymborska ihn als das weitaus stärkste aller menschlichen Gefühle. Seine überaus biegsame Anpassungsfähigkeit lässt ihn nur auf die nächste Gelegenheit lauern, um wieder aktiv zu werden und die „Menschenteppiche“ in den Straßen, Plätzen und Stadien auszurollen, wie es im Gedicht heißt.

Die Menschenfeindlichkeit von Menschen gegen Menschen, Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Rassismus und Antisemitismus, Nationalismen, autoritäres und antidemokratisches Denken nehmen zu und bringen es in Gestalt rechtsextremer und autoritärer Parteien bis in viele europäische Parlamente. Der „Hass“, von dem Szymborska spricht und den wir in Europa für überwunden gehalten hatten, ist salonfähig geworden – und er tötet in Gestalt des Rechtsterrorismus auch wieder. Das gesellschaftliche Klima insgesamt ändert sich, es wird rauer.

Aber der Hass ist nur das starke intentionale Motiv für Stigma- tisierung, Ausgrenzung und Verfolgung. Er ist nicht erfolgreich, wenn er nicht durch die Gleichgültigkeit den Schicksalen Verfolgter gegenüber begleitet wird. Das scheint der wahre Kern der Erkenntnis von Primo Levi zu sein, wenn er konstatiert, dass der Genozid, den er überleben konnte, sich in ähnlicher oder anderer Form wieder ereignen kann: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ Gleichgültigkeit muss daher in Empathie transformiert werden, damit der Hass keine Chance erhält, sich in der Gesellschaft auszubreiten. Wir wissen es aus den Forschungen zur Zivilcourage: Auf die Zuschauenden kommt es an – nur wenn sie aktiv werden und für die Opfer Partei ergreifen, dann kann es gelingen, die Täter zu stoppen.

Mit dem Projekt „Spuren Schreiben“, das als kreisweiter Schreibwettbewerb für Schaumburger Schulen ab dem 8. Jahrgang im Herbst 2019 startete, ist genau das beabsichtigt: die Entwicklung von Empathie, die Bildung von Mitgefühl, Anteilnahme an dem Schicksal und Parteinahme für die Würde verfolgter Menschen. Aus guten Gründen haben wir uns dabei nicht auf die NS-Geschichte begrenzt – auch wenn sie aufgrund ihres paradigmatischen Charakters sicherlich im Mittelpunkt steht –, sondern öffnen die Fragestellung für alle historischen Epochen, verfolgte Menschengruppen und natürlich die Gegenwart.

Menschen hinterlassen Spuren in ihrem Leben; ob es um die aus Deutschland flüchtenden jüdischen Kinder ging oder um die aus Syrien und anderswo flüchtenden Menschen geht – am Umgang mit ihren Schicksalen erweist sich die Humanität. Und Humanität ist das Gegenteil von Hass und Gleichgültigkeit.

Das Vorbereitungsteam wusste nicht, worauf es sich einließ, als es das Schreibprojekt startete: Wie kann der Kontakt zu den Schulen hergestellt werden? Würde es an den Schulen – von Kolleginnen und Kollegen, von Schülerinnen und Schülern – angenommen? Mit wie vielen Beiträge und in welcher Qualität ist zu rechnen? Nach welchen Kriterien sollen die eigegangenen Beiträge von der Jury beurteilt werden? Klappt die technische Übermittlung der Daten auf die Homepage? etc. Fragen über Fragen und Neuland für alle Beteiligten.

Aber es hat sich gelohnt: Etwa 230 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 8 bis 13 von sieben Schulen aus dem Landkreis haben sich mit 180 Beiträgen beteiligt; eine Auswahl, darunter auch die Preisträger*innen, ist hier dokumentiert. Die Ergeb- nisse sind bemerkenswert und von hoher lyrischer und erzählerischer Qualität.

Deshalb gilt unser Dank in erster Linie den Jugendlichen, die mit großem Ernst und Engagement, mit Kreativität und ungewöhnlichen Ideen die Herausforderung angenommen haben. Bedanken möchten wir uns auch bei den Lehrerinnen und Leh- rern, die ihre Lerngruppen motiviert und begleitet haben.

Das Projektteam, das den Schreibwettbewerb geplant und realisiert hat, besteht aus: Manuela Bank, Nina Dopheide (auch Jury), Lutz Gräber, Volkmar Heuer-Strathmann (auch Jury und Buchkonzept sowie Fotos), Larissa Jaunich (auch Jury), Viktoria Komander, Hans-Dieter Lichtner, Emma Rüther und Carolin Wille.

Die Jury besteht zusätzlich aus: Max Lichte, Horst Klösel, Petra Rickmann und Katharina Pätzold (auch Layout/graphische Gestaltung des Buches).

Die Federführung von allem liegt bei Sandra Wolf (auch Buch- konzept). Ihnen allen sei für ihr Engagement gedankt! Schirmherrin des Ganzen – und darüber haben wir uns besonders gefreut – ist die in München lebende Lyrikerin und Schriftstellerin Dagmar Nick, die jüdische Vorfahren in Stadthagen hatte. Sie hat uns auch ihr Gedicht „Letzte Bilanz“ exklusiv für dieses Buch zur Verfügung gestellt.

Aber ohne die großzügige finanzielle Förderung durch die Bürgerstiftung Schaumburg, die sich sofort bereit erklärte, das Projekt mit einer namhaften Summe zu fördern, wären Wettbewerb und Buch nicht möglich gewesen. Ebenfalls unterstützt haben uns dabei die Landeskirche Schaumburg-Lippe, die Rautenberg-Foundation/Los Angeles und der Altschülerbund des RGS.

Herzlichen Dank allen Förderern!

PREISTRÄGERIN
GUTE NACHT ESTLAND
ein Lied von Hannah Luise Richter
Ratsgymnasium, JG 12
Buch S. 19-23 // Lied // Audio: DOWNLOAD-LINK //  Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK

HEAD ÖÖD

Ein dunkles Gemäuer, feucht und kalt
der Wind trägt das Rauschen des Meeres herüber,
aber um mich sich das Unbehagen schnallt,
als ich die Eingangstür betrete und Stufe um Stufe
die Treppe hoch in den langen Flur nehme,
mit seinem Zementfußboden und an den kahlen Wänden,
Farbschicht um Farbschicht hinunterblättert
wie Erinnerungs- und Bilderfetzen,
die erinnern an das, was hier einmal war
und erzählen von dem Schrecken,
von den Hunderten,
die hier über die Jahrzehnte verreckten,
von den Tausenden,
die hier eingesperrt und eingepfercht und gedemütigt wurden
und auch einmal wie ich
diesen Flur entlangschritten,
aber nein, nicht wie ich,
denn sie hatten kein eigenes Leben mehr,
von aller Würde beraubt
in eine der Zellen gestoßen,
in die Zellen, die sich eine neben der anderen
aneinanderreihten
und die schwere Eisentür fiel krachend ins Schloss,
wenn wieder ein neuer Unschuldiger kam
in die Zellen; in denen sie eng aneinander liegend,
doch frierend sich schlaflos von einer Seite auf die andere
drehten

Dieses Gebäude scheint zu sagen:
Gute Nacht – dem Frieden und der Menschenwürde,
Gute Nacht – der Menschlichkeit
Gute Nacht – und ein Willkommen dem Grauen
Gute Nacht – und ein Willkommen den Gefangenen,
die hier Tag um Tag ausharrten und doch nur warten
mussten auf,
ihren Abtransport in ein Arbeitslager,
und ein neues Kapitel der Menschenverachtung nahm
seinen Lauf,
als ob das hier nicht schlimm genug gewesen wäre,
noch nicht entwürdigend genug

Ich laufe weiter in die nächste Zelle,
in der eine leise Stimme erklingt,
eine dunkle, warme Stimme
in all dem Grauenvollen,
in einer nackten Zelle mit dem kalten Boden aus Zement
und dann diese ruhige Stimme,
die immer weiter in meinen Kopf dringt:
sie singt.

Sie singt und man hört dieser Stimme die tiefe Traurigkeit an
die mich zieht in ihren Bann
und dabei spendet sie doch auch Trost,
denn in dieser Stille,
wo nur der Wind durch die Zellen pfeift,
wird jeder gut gemeinte Ton zu einem kleinen Lichtblick,
während mein Blick suchend umherschweift,
und nicht begreift, wie so etwas passieren kann.

Aber der Klang der Stimme erzählt von Frieden, von Freiheit,
einem Schlussstrich nach dem ganzen Leid, denn

Gute Nacht – der Freiheit, als die Deutschen kamen,
Gute Nacht – der Freiheit, als die Russen wieder übernahmen
Gute Nacht – dem Frieden und dem Glück.

Sie war 16,
als man sie gefangen nahm und sie hierherkam,
als politische Aufrührerin angeklagt,
sie hatte es gewagt,
Widerstand zu leisten
gegen das Terrorregime,
dass sie dafür
in ihrer kleinen, dunklen Zelle,
in der sie mit anderen ihrer Partisanengruppe lebte,
einen so hohen Preis bezahlen musste,
ob sie das wusste und ob sie wusste,
dass man sie später für sieben Jahre ins Arbeitslager
schicken würde?

Von dem kleinen, vergitterten Fenster,
oben eingelassen in ihrer Zelle,
konnte sie über den Stacheldraht,
der die hohen Mauern umgab,
auf das Meer blicken,
die Freiheit zum Greifen nah und trotzdem unerreichbar
weit entfernt
und links von ihrem Fenster die anderen Zellen,
mit Insassen, die ihre Deportation kommen sahen
und rechts die Einzelzellen, mit denen,
deren Tod herannahen sollte
in der Mitte Luule-Laine Johanson.

Sie kletterte jeden Abend zu ihrem Fenster empor,
und um ein wenig Trost zu spenden,
sang sie dieses Lied.
Sie sang und sang,
sie wünschte allen eine gute Nacht,
die wohl keiner von ihnen jemals hatte,
denn das war unmöglich in dieser Kälte und Angst.
Sie sang, die Nacht sei gekommen
und die Nacht war da,
wo man sich umsah,
Schrecken und Dunkelheit in den Gesichtern,
deren Geschichten aufgeschrieben sind auf den
hängenden Lichtern im Nebenraum.

Das kleine Land,
Spielball von zwei Kriegesmächten
das doch nur seine Unabhängigkeit verlangt
und dann als Opfer zweier Kriege
unvorstellbar viele Menschen zu beweinen hatte.

Gute Nacht – Estland
Gute Nacht – dem Kinderlachen
Gute Nacht – der eigenen Kultur und Sprache

Luule-Laine hat sich eingesetzt,
für die Unabhängigkeit ihres Landes,
sie hat Menschlichkeit zurückgebracht,
ein wenig Mut und Hoffnung entfacht,
dort, wo es am bittersten nötig war
in den Gefangenen damals und damit auch in mir,
mit so einfachen Mitteln,
hat sie nicht aufgehört zu protestieren,
und zu zeigen die grenzenlose Ungerechtigkeit und das
unendliche Leid.

Gute Nacht – den immer wiederkehrenden Kriegen
Gute Nacht – den Opfern der Macht und der Gier
Willkommen der Freiheit und dem Frieden!
Und ein Willkommen jedem Menschen, der hier
seinen kleinen Teil dazu beiträgt.

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Die deutsche Übersetzung des Liedes „Head ööd“:

„Gute Nacht, gute Nacht,
wir wünschen allen eine gute Nacht,
die Nacht ist nun gekommen,
gute Nacht, gute Nacht“

Luule-Laine Johanson kam 1946 in das Patarei Gefängnis in Tallinn, in dem sich heute ein Museum befindet. Als ich diesen Sommer das Gefängnis besuchte, beeindruckte mich ihre Geschichte tief und ich entschied mich, über ihr Lied zu schreiben.

Hannah Luise Richter

PREISTRÄGER

ODIUM
von Maurizio Piro
Ernestinum, JG 12
Buch S. 29-35 // Gedicht //  Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK

ODIUM

Der Hass, ein doch so altes Stück
Das immerwährend kehrt zurück
Und auf der Wanderbühn’ der Welt
In Neubesetzung wird erzählt

Mit Lautenklang der Vorhang schwingt
Gibt freie Sicht auf den Prolog
Vom Menschen der sich nicht besinnt
Und neuem Zwist ward hinbewog’

Wenn auch der Hergang stets im Gleichen
Trübt nicht den Spielergeist
Der heimlich sich mit Blutrunst speist
Und Schönheit findet in den Leichen

Brutus greift zum Dolche dann
Will beenden, was begonnen
Doch bevor Blut sei verronnen
Setz geschwind zum Wort ich an

„Ist euch das eigene Leben lieb
So sprechet weder Vers noch Strophe
Tragödie, das heißt Katastrophe
Da in verlor’ne Schlacht ihr zieht!“

Worin liegt der Sinn zu hassen
Was vom selben Schufe ist
Was von Grund auf gleich sich misst
Wir täten besser es zu lassen

Wenn die Menschheit ist ein Leib
Würd’ die rechte Hand es wagen
Gar die linke abzuschlagen
Ohne dass vor Schmerz sie schreit?

Die Schneide sinkt in Brutus’s Händen
Schmerzlich wird ihm nun bewusst
Würde er sein Werk vollenden
Sei auch er ein Romulus

Haltlos Caesar ihn umfasst
Der Blutschuld Kreis gebrochen war
Und beiden ward geoffenbart
Dass Zwietracht nur durch Liebe blasst

Da richtet Caesar sich zum Volk
Und still wird’s auf dem Podium
„Unser Dank dem Redner zollt
Der uns befreit vom Odium“

„Oh Dramaturg besinne deiner
Führ erneut den Kiel zum Blatt
Auf dass dein Wort sei nun an reiner
Für den tintenfrischen Akt“

„Spieler, steht nicht tatenlos
Der Arbeiter bedarf es viele
Applaus fällt dir nicht in den Schoß
Drum jeder sich bewogen fühle!“

Chöre singen, Harfen klingen
Der Vorhang weht ein zweites Mal
Die Spannung kocht im Herzensinnern
Und schwillt zu immer größ’rer Qual

Oh welch ein Anblick zeigt sich mir
Da war ein Nichts im Hauch grotesque
Bloß Tänzer, fein, mit größter Zier
In lupenreinstem Arabesque

Und seht, da kommen die Akteure
Gewandet nun in neuem Kleid
Wo einst war Neid, weilt Heiterkeit
Da jeder auf die Liebe schwöre

Dort seh’ ich Menschen Herz an Herz
Die freudig stimmen Lieder an
Der Echtheit Flügel himmelwärts
Verhallt Leukosias Gesang

Der Verse lichte Euphorie
Erhellt schon bald das Erdenrund
Zwingt selbst den Mörder in die Knie
Und bindet sie im Einklangsbund

Das letzte süße Wort des Spielers
Schallt als Echo in dem Raum
Entzieht uns zwar aus diesem Traum
Und hallet doch im Herzen wider

Da ging ein Lächeln durch die Reihen
Gänzlich neu war jenes Stück
Ein mancher Tränen bat verzeihen
Da unendlich schien ihr Glück

Und nun, da sich der Vorhang schließt
Sei eine Frage dir gestellt
Ob es sie gibt, der Dichtung Welt
Oder du schlicht Verse liest?

Im großen Opus uns’rer Sphäre
Trittst du den lieben Tag lang auf
So doch bedenk, ob dein Verlauf
Zu ächten oder loben wäre

Soll der Hass denn ewig währen
Stets Leid zur Königin uns krönen
Ändern wir den Lauf der Zeit!

Auf dass der Mensch sich nie entzwei
Drum dieser Worte Auftrag sei
Ein Epos für die Ewigkeit!

PREISTRÄGERIN

DIE GESCHICHTE EINES HASEN
von Friederike Riess
Ratsgymnasium, JG 12
Buch S. 39-44 // Kurzgeschichte // Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK

Eins

Ein ganz normaler Morgen. So fängt im Grunde jede Geschichte an. Und an diesem ganz normalen Morgen liegen Scherben in den Pfützen auf der Straße, und zwar viel zu viele. Eine ganz normale Frau starrt auf die Stelle, wo eigentlich die Scherben hingehört hätten. Ein ganz normaler Spielzeugladen, in einer ganz normalen Straße, mit ganz normalen Menschen. Und weil auch sie ein ganz normaler Mensch ist, dreht sich die Frau um, geht ins Haus und starrt in den Topf mit der Kohlsuppe.

Die Frau heißt Trude. Sie ist blond, mittelgroß und mittelhübsch, und sie hat einen Mann und einen Sohn, den sie über alles liebt. Er heißt Klaus, und er ist klein, dünn und fröhlich und viel zu frech für diese Zeit. Der Mann ist vor Jahren gegangen, um gegen Franzosen zu kämpfen, und ohne Beine wiedergekommen. Jetzt spielt er Akkordeon. Trude kocht Kohlsuppe, denn etwas anderes gibt es nicht zu essen. Nicht heute, nicht morgen und nicht an Klaus‘ Geburtstag, genauso wenig wie den Teddybären, den er sich so wünscht. Vom Akkordeonspielen kann man nun mal kein Spielzeug kaufen. Und sie weint in die Kohlsuppe, die wird versalzen vor lauter Mutterliebe. Die Tränen sind wie der Regen auf der Straße, das bringt sie auf eine Idee. Die Welt hinter den Scherben, sie enthält bestimmt auch Stofftiere. Was kümmert es die Nachbarn, sie sind eh verschwunden, und wer weiß, wer vorher schon alles da war und gesucht hat.

Der Laden ist dunkel und eigentlich auch kein Laden mehr, der Wind pfeift durch die eingeschlagenen Fenster und ist beinahe kälter als draußen. Neben der Tür auf dem Boden liegt ein einzelner Puppenkopf, der sie traurig anstarrt. Weiter hinten der Inhalt der Regale, ein Haufen von toten Stofftieren, von Bauklötzen erschlagen. Sie gehört nicht hierher, und bevor sich das ändert, tritt sie wieder die Flucht an. Sie stolpert, fällt auf etwas Weiches, es ist ein Stoffhase. Er lebt, sagen seine Augen, er hat das Massaker überstanden. Was soll sie anderes machen als ihn mitnehmen? Es ist kein Teddy, aber das wird niemanden stören. Sie wird ihn retten.

Zwei

An seinem Geburtstag scheint die Sonne. So muss das auch sein an einem Geburtstag, der ganze Tag muss ein bisschen leuchten, es ist schließlich etwas Besonderes. Irgendjemand hat sogar die Straße draußen gefegt. Aber das Beste an diesem Tag ist natürlich das Geschenk. Ein richtiger Hase! „Akkordeonspielen bringt halt doch etwas“, sagt Vater und Mutter guckt ihn böse an. Aber eigentlich freut sie sich genauso. „Darf ich zu Max gehen und ihm den Hasen zeigen?“ „Ach, Klaus.“ Aber es ist sein Geburtstag, deswegen darf er trotzdem. Er hüpft durch die Straßen und zeigt dem Hasen die Stadt, die wehenden Fahnen und die übermalten Schilder und die Sterne, die an Hauswände gepinselt sind. Vor einem der Sterne hält er an, denn dort wohnt Max, sein bester Freund.

Er klopft. Max´ Schwester macht auf. Nur einen Spalt, aber er sieht trotzdem, dass sie weint, und ihre Stimme klingt komisch. „Max hat keine Zeit“, sagt sie. „Max muss packen. Wir fahren morgen.“ „Wohin?“ „Nach England, zu Verwandten. Nur eine Weile, aber sag niemandem etwas, du musst jetzt gehen.“ Der Rückweg ist viel länger, der Hase kennt die Stadt ja schon. Der Geburtstag ist vorbei. Wo ist England überhaupt? Der Hase weiß es auch nicht, und Mutter und Vater kann er ja nicht fragen. Weit weg auf jeden Fall. Und sie hat nicht gesagt wie lange, er hat jetzt nur noch den Hasen. Und Max, wen hat Max? „Hase“, sagt er. „Möchtest du England kennenlernen?“ Dann dreht er sich um und rennt und schickt den Hasen auf die Reise, Max braucht ihn mehr.

Drei

Mitten in der Nacht wird er geweckt. Etwas donnert gegen die Tür und brüllt. „Das Monster“, denkt er, „jetzt kommt es und frisst mich.“ Dann wird er geschüttelt und wacht tatsächlich auf, und es donnert immer noch. „Max“, flüstert die Schwester. „Max, steh auf!“ Sie weint schon wieder, wie eigentlich ständig in letzter Zeit. Dann knackt es, das Monster hat die Tür endlich aufgetreten. „Mitkommen“, sagt es, und sie kommen mit. „Hör auf zu betteln“, sagt es, und Mutter ist still. „Hör auf zu weinen“, sagt es zur Schwester, aber das Weinen hört einfach nicht auf, das Weinen geht immer weiter. Ein letzter Blick ins Zimmer, das leere Zuhause, die gepackten Koffer stehen in der Ecke. Bis bald. Das einzige, was er dabei hat, ist der Hase in seinem Arm. „Tut mir leid“, flüstert er. „Wir fahren doch nicht nach England.“ Der Hase ist still, wahrscheinlich hat er Angst. „Keine Sorge“, sagt Max. „Ich passe auf.“

Dann steigen sie in einen Wagen. Es ist kalt und eng und dunkel, aber das ist fast gut so, so muss er all die leeren Gesichter nicht sehen. Der Wagen rattert und rattert, und keiner weiß wohin, jedenfalls will es ihm niemand sagen. Eigentlich würde er es auch lieber nicht herausfinden. Er singt ein Lied für den Hasen, damit er sich nicht so fürchtet, und ein paar der fremden Menschen singen mit. Dann ist es wieder still. Der Wagen rattert weiter, wer weiß wie lange, und irgendwann hält er an.

Draußen sind noch mehr leere Gesichter und noch mehr brüllende Männer. Ein riesiges Gebäude und so viele dünne Menschen, nicht mal die Hunde sehen hier freundlich aus. Wären das doch bloß die Monster aus dem Alptraum, könnte er doch bloß aufwachen! Vater wird weggeschickt. „Bis bald“, sagt er, und jetzt weint Mutter auch noch. Eine lange Reihe, Listen mit Namen, alle sind da. Duschen. „Ich hab doch gestern erst gebadet.“ „Das wissen die Männer ja nicht.“ Der Hase darf nicht mit, denn den Männern darf man ja nicht widersprechen. Er liegt alleine auf einem Berg Kleidung und friert. „Bis bald“, sagt Max, aber was heißt schon bis bald an diesem Ort.

Vier

Einer der brüllenden Männer steht im Raum vor den Duschen und brüllt. Kann er sich eigentlich noch anders verständigen? Über so etwas denkt er nicht nach, er führt ja nur Anweisungen aus. Vor ihm sortieren frierende Menschen Klamotten von anderen Menschen, die nicht mehr aus den Duschen kommen. Auch darüber denkt er vermutlich nicht nach, aber wer weiß das schon. Einem der Menschen fällt etwas herunter, es fällt direkt vor seine Stiefel, also brüllt er noch ein bisschen mehr. Er guckt nach unten.

Vielleicht erinnert ihn der Hase an irgendetwas, vielleicht an seine eigene Kindheit oder an seine kleine Tochter. Vielleicht ist es sogar so etwas wie Menschlichkeit. Kann er das überhaupt, Gefühle haben? Ist er ein Mensch oder ein Monster aus einem Alptraum – oder beides gleichzeitig? Jedenfalls hebt er den Hasen auf. Und dann wird er abgelenkt, weil einer der frierenden Menschen stolpert und fällt, und er passt nicht auf, und schon landet der Hase in der Tasche seiner Uniform. Gibt es einen unpassenderen Ort für ein Stofftier? Aber den Hasen fragt ja keiner, und wenigstens friert er so nicht mehr. Und der Hase sieht den Mann, der ihn mitgenommen hat, und die traurige Antwort ist, es ist tatsächlich ein Mensch. Er hat Gefühle und denkt und auch er war mal ein Kind, das nichts mit irgendetwas zu tun hatte. Der Hase sieht es und zittert.

Der Mann hat ihn vermutlich schon wieder vergessen. Er tut weiter, was er für richtig hält, er führt Anweisungen aus und erfindet selber welche, er brüllt in leere, weinende, frierende Gesichter, er schickt Kinder in Duschen, aus denen sie nicht mehr herauskommen, und abends geht er nach Hause, zu seiner Frau und seinem Kind. Auf dem Weg dorthin greift er in seine Tasche und findet etwas. Es ist ein kleiner jüdischer Hase, und er landet geräuschlos im Dreck.

Fünf

Ein paar Jahre sind vergangen, aber es ist immer noch kalt. Um den Hasen herum sind Männer marschiert und Bomben gefallen, Menschen sind geflohen, Menschen sind verschwunden und Menschen haben zugeschaut. Ein kleines Mädchen läuft durch die Straßen, an der Hand ihres Vaters, auf der Suche nach etwas Hoffnung. Sie wird einmal irgendjemandes Großmutter sein, aber davon weiß sie noch nichts. „Vater“, sagt sie. „Schau, ein Stoffhase!“ Und er ist kalt, dreckig und ein wenig kaputt, aber die Augen sind immer noch lebendig. Sie nimmt ihn mit, vielleicht ist es die Hoffnung, nach der sie gesucht hat.

Sechs

Irgendwann wird das Leben besser. Und ein paar Jahrzehnte später wird der Hase auf dem Dachboden auftauchen und in ein neues Gesicht blicken. Er wird schweigen, aber er wird Geschichten erzählen, von Menschen, die nicht mehr erzählen können, und von Menschen, die nie erzählen wollten. Er wird Fragen stellen und niemand wird Antworten wissen, und er wird Antworten geben für Fragen, die nicht gestellt werden. Das Leben wird weitergehen, ohne Trude, Klaus, Max, den brüllenden Mann und die kleine Großmutter. Aber der Hase wird erzählen.

PREISTRÄGER
HUGO HIRSCH
Mirna Tschersich, Anne Schifkowski und Rike Kölling
Wilhelm-Busch-Gymnasium, Jg. 12
Buch S. 47-57  //  Film   //  Arbeitsblatt: DOWNLOAD-LINK

Die Idee zu Hugo Hirsch

Der Film soll die Sicht eines jüdischen Mädchens namens Magda auf das Leben in Stadthagen unter den sich wandelnden Lebensumständen verdeutlichen. Hierbei soll sich der Beobachter mit ihr identifzieren und dem Wandel von einer unbeschwerten Kindheit zur atemraubenden Unterdrückung durch das NS-Regime zuschauen. Der vernichtende Schatten des Holocaust legt sich langsam über den Horizont der Kinder Hugo und Magda.

Aus der Begründung der Jury

Stolpersteine sollen nicht nur zum Innehalten Anlass sein. Sie sollen Interesse wecken für die Lebensgeschichten verfolgter Juden. Das Film-Team aus dem WBG-Seminarfach ist einer Spur gefolgt, hat dabei Bedrängnis und Verfolgung fiktional in Szene gesetzt und das Motiv das Bahntransports aufgegriffen, als könne man hier dokumentarisch arbeiten. Die Fotos zeigen ihre Methode, zu der auch das Unterlegen von Klezmer-Musik gehört. Leider können wir euch den Film aus urheberrechtlichen Gründen nicht ins Netz stellen. Du kannst das Skript zu dem Film aber vollständig als pdf lesen: DOWNLOAD-LINK